Diabetes Typ 1 – Aktuelle Empfehlungen zur Ernährung
Die Ernährungsempfehlungen für Menschen mit Diabetes Typ 1 haben sich in den letzten Jahrzehnten stark gewandelt. Während früher strenge Regeln mit niedriger Kohlenhydratzufuhr im Vordergrund standen, hat sich mit den modernen Behandlungsmöglichkeiten ein flexiblerer Ansatz etabliert. Ein Überblick über die historischen Entwicklungen und die aktuellen Empfehlungen zeigt, wie sich das Verständnis für eine geeignete Ernährung bei Diabetes Typ 1 im Laufe der Zeit verändert hat.
- Diabetes Typ 1 – Aktuelle Empfehlungen zur Ernährung
Diabetes Typ 1: Die Anfänge der Ernährungstherapie
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es nur wenige therapeutische Optionen für Menschen mit Diabetes Typ 1. Die Ernährung spielte eine zentrale Rolle, da es vor der Entdeckung des Insulins keine andere Möglichkeit zur Kontrolle des Blutzuckers gab, weshalb strenge Diäten mit sehr niedriger Kohlenhydratzufuhr die Norm waren. Ein bekanntes Beispiel ist die sogenannte „Hungerdiät“, die von dem französischen Physiologen Apollinaire Bouchardat eingeführt wurde. Diese Diät war extrem restriktiv und wurde oft als letzte Maßnahme zur Behandlung von Patienten eingesetzt, bevor diese an den Folgen der Krankheit starben.
Mit der Einführung der Insulintherapie änderte sich die Situation grundlegend. Plötzlich war es möglich, den Blutzucker durch externe Insulinzufuhr zu kontrollieren, was eine Lockerung der strikten Diätvorgaben ermöglichte. In den 1920er Jahren beschrieb der amerikanische Arzt Elliot P. Joslin eine kohlenhydratfreie Diät, bei der die Kohlenhydratmenge schrittweise erhöht wurde, bis der Urin frei von Glukose war. Diese Methode führte zu einer kontrollierten Kohlenhydratzufuhr und erlaubte eine an den individuellen Bedarf angepasste Insulintherapie.
Diabetes Typ 1: Ernährung in der Insulinära
Die Entdeckung des Insulins ermöglichte es, die strikten Diäten allmählich zu lockern. Die Erkenntnisse aus dem Diabetes Control and Complications Trial (DCCT) in den 1980er und 1990er Jahren bestätigten, dass eine gute Blutzuckerkontrolle das Risiko für Folgeerkrankungen deutlich senken kann. Dies führte zu einem Paradigmenwechsel in der Therapie des Diabetes Typ 1: Die Patienten sollten nicht mehr durch eine starre Diät eingeschränkt werden, sondern ihre Insulindosis an die zugeführte Nahrung anpassen.
Die flexible Insulintherapie, auch bekannt als intensivierte Insulintherapie, wurde zum Standard. Dabei wird die Insulindosis auf Grundlage der zugeführten Kohlenhydratmenge berechnet. Dieses Konzept ist als „Carb Counting“ bekannt. Damit können Menschen mit Diabetes Typ 1 ihre Ernährung individuell gestalten. Es wurden keine spezifischen Einschränkungen hinsichtlich der Kohlenhydratmenge vorgegeben, was eine erheblich größere Flexibilität in der Nahrungsaufnahme erlaubt und die Lebensqualität der Diabetiker deutlich verbesserte.
Aktuelle Ernährungsempfehlungen bei Diabetes Typ 1
Obwohl die früheren strengen Diätvorgaben gelockert wurden, gibt es auch heute noch wichtige Empfehlungen für Menschen mit Diabetes Typ 1, die eine ausgewogene und gesunde Ernährung unterstützen. Diese Empfehlungen orientieren sich weitgehend an den Richtlinien für die Allgemeinbevölkerung, mit besonderer Betonung auf:
- Pflanzenbasierte Ernährung: Der Fokus liegt auf einem hohen Anteil pflanzlicher Lebensmittel wie Obst, Gemüse, Hülsenfrüchte und Vollkornprodukte.
- Mediterrane Diät: Diese Ernährungsweise beinhaltet den vermehrten Konsum von Olivenöl, Fisch und Nüssen, während rotes Fleisch und Zucker limitiert werden.
- Geringer Fleischkonsum: Besonders rotes Fleisch und verarbeitete Fleischprodukte sollten nur in moderaten Mengen verzehrt werden.
- Reduzierte Zuckerzufuhr: Süßigkeiten und zuckerhaltige Getränke sollten weitestgehend vermieden werden.

Im Gegensatz zu früheren Empfehlungen, die einen klaren Fokus auf niedrige Kohlenhydratzufuhr legten, geht es heute vor allem darum, die Gesamtmenge an zugeführten Kohlenhydraten zu schätzen und die Insulindosis entsprechend anzupassen. Wichtig ist auch die Verwendung von Lebensmitteln mit niedrigem glykämischen Index, die den Blutzuckeranstieg nach den Mahlzeiten verringern können.
Infobox Glykämischer Index
Der glykämische Index (GI) gibt an, wie stark und schnell ein kohlenhydrathaltiges Lebensmittel den Blutzuckerspiegel ansteigen lässt. Lebensmittel mit einem hohen GI, wie Weißbrot oder Zucker, lassen den Blutzucker schnell und stark ansteigen. Dagegen führen Lebensmittel mit einem niedrigen GI, wie Vollkornprodukte oder Hülsenfrüchte, zu einem langsameren und gleichmäßigeren Anstieg des Blutzuckers. Ein niedriger GI ist vorteilhaft, da er hilft, den Blutzucker stabiler zu halten und starke Schwankungen zu vermeiden.Risiken der modernen Ernährung bei Diabetes Typ 1
Gewichtszunahme
Eine der größten Herausforderungen in der Ernährung von Menschen mit Diabetes Typ 1 ist das Risiko einer Gewichtszunahme. Studien zeigen, dass viele Menschen mit Diabetes Typ 1 dazu neigen, im Laufe der Jahre an Gewicht zuzunehmen. Dies liegt teilweise an der liberalisierten Ernährungsweise und der flexibleren Insulintherapie, die es ermöglicht, mehr und flexibler zu essen. Ein höheres Körpergewicht stellt jedoch ein zusätzliches Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen dar und kann zu weiteren Komplikationen wie Bluthochdruck und erhöhten Blutfettwerten führen.
Zu den wichtigsten Maßnahmen, um das Risiko einer Gewichtszunahme zu minimieren, gehören:
- Regelmäßige körperliche Aktivität, die den Kalorienverbrauch erhöht und die Insulinsensitivität verbessert.
- Bewusste Auswahl von Lebensmitteln mit niedriger Energiedichte.
- Reduktion des Konsums von hochkalorischen Lebensmitteln und Getränken.

Blutzuckerschwankungen
Durch eine liberalisierte Ernährung und flexiblere Mahlzeiten kann es zu unvorhersehbaren Schwankungen des Blutzuckerspiegels kommen. Besonders Lebensmittel mit hohem glykämischen Index oder verstecktem Zucker können zu schnellen und starken Anstiegen führen, gefolgt von ebenso schnellen Abfällen, was die Blutzuckerkontrolle erschwert.
Erhöhtes Risiko für Hypoglykämien
Wenn die Insulinmenge nicht exakt auf die zugeführten Kohlenhydrate abgestimmt wird, besteht die Gefahr einer Unterzuckerung (Hypoglykämie). Diese kann auftreten, wenn zu viel Insulin im Verhältnis zur gegessenen Kohlenhydratmenge verabreicht wird oder wenn körperliche Aktivität nicht ausreichend berücksichtigt wird.
Mangelernährung
Eine Ernährung, die nicht sorgfältig geplant ist, kann zu einem Mangel an wichtigen Nährstoffen wie Vitaminen, Mineralstoffen und Ballaststoffen führen. Dies kann geschehen, wenn Diabetiker aufgrund ihrer Blutzuckerkontrolle bestimmte Lebensmittelgruppen meiden oder unausgewogene Diäten einhalten.
Erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen
Eine Ernährung, die reich an gesättigten Fetten, Zucker und salzreichen Lebensmitteln ist, kann das Risiko für Bluthochdruck, erhöhte Cholesterinwerte und damit auch für Herz-Kreislauf-Erkrankungen erhöhen. Da Menschen mit Diabetes Typ 1 ohnehin ein erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen haben, kann eine ungesunde Ernährung dieses Risiko weiter steigern.
Verschlechterung von Komplikationen
Eine nicht optimal kontrollierte Ernährung kann bestehende Diabetes-Komplikationen wie Neuropathie (Nervenschäden), Retinopathie (Augenerkrankungen) und Nephropathie (Nierenschäden) verschlimmern. Besonders hohe Blutzuckerspitzen oder häufige Schwankungen können die Entwicklung dieser Komplikationen beschleunigen.
Insulinresistenz
Ein hoher Konsum von kalorienreichen, nährstoffarmen Lebensmitteln kann langfristig zu einer verminderten Empfindlichkeit gegenüber Insulin führen. Das bedeutet, dass die Zellen weniger auf Insulin reagieren, was höhere Insulindosen erforderlich macht.
Diese Risiken unterstreichen die Bedeutung einer ausgewogenen, nährstoffreichen Ernährung und einer guten Blutzuckerkontrolle bei Menschen mit Diabetes Typ 1.
Prävention und Gesundheitsförderung bei Diabetes Typ 1
Um Menschen mit Diabetes Typ 1 zu einer gesunden Lebensweise zu motivieren, wird eine Entscheidungsfindung empfohlen, bei der Arzt und Patient gemeinsam an der Festlegung realistischer Ernährungs- und Therapiezielen arbeiten. Ein Beispiel dafür ist die Einführung einer mediterranen Ernährung, die nicht nur nachweislich die Insulinsensitivität verbessert, sondern auch gut akzeptiert wird. Die Einbindung der Patienten in den Entscheidungsprozess fördert die Motivation und verbessert die langfristige Adhärenz.
Fazit
Quellen
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Purnell JQ et al (2017) Impact of excessive weight gain on cardiovascular outcomes in type 1 diabetes: results from the diabetes control and complications trial/epidemiology of diabetes interventions and complications (DCCT/EDIC) study. Diabetes Care 40(12):1756–1762.
Lechleitner M, Kaser S, Hoppichler F et al. Diagnostik und Therapie des Typ 1 Diabetes mellitus (Update 2023) [Diagnosis and insulin therapy of type 1 diabetes mellitus (Update 2023)]. Wien Klin Wochenschr. 2023 Jan;135(Suppl 1):98-105. German.
Deutsche Gesellschaft für Ernährung e. V. (2024) Gut Essen und Trinken – die DGE-Empfehlungen.