Lipödem: Ursachen, Diagnostik und Behandlungsmöglichkeiten
Das Lipödem ist eine oft missverstandene Erkrankung, die fast ausschließlich Frauen betrifft und nichts mit Übergewicht, Adipositas oder Wasser in den Beinen zu tun hat. Charakteristisch für das Lipödem ist eine disproportionale Fettverteilungsstörung an den Extremitäten, die mit Schmerzen und einer Neigung zu Blutergüssen einhergeht. Es wird oft als kosmetisches Problem missverstanden, obwohl es sich hierbei um eine chronische Erkrankung handelt, die mit erheblichen physischen und psychischen Belastungen einhergeht. Dieser Beitrag bietet einen umfassenden Überblick über die Ursachen, die Diagnostik und die aktuellen Therapiemöglichkeiten des Lipödems.
- Lipödem: Ursachen, Diagnostik und Behandlungsmöglichkeiten
Was ist ein Lipödem?
Das Lipödem ist eine chronische Fettverteilungsstörung, die sich durch eine symmetrische, schmerzhafte Fettansammlung an den Beinen und Armen kennzeichnet. Es tritt fast ausschließlich bei Frauen auf, häufig in Verbindung mit hormonellen Veränderungen wie Pubertät, Schwangerschaft oder Menopause. Zu den typischen Symptomen gehören:
- Schmerzen bei Berührung oder Druck
- Schwellungen der Extremitäten, die sich im Verlauf des Tages verschlimmern
- Neigung zu Blutergüssen
- Kalte Haut an den betroffenen Stellen
Hände und Füße bleiben in der Regel unberührt, was ein wichtiges diagnostisches Kriterium darstellt. Die Erkrankung ist progredient, was bedeutet, dass sie sich im Laufe der Zeit verschlechtern kann, wenn keine geeigneten Maßnahmen ergriffen werden.
Ursachen und Pathogenese des Lipödems
Die genaue Ursache des Lipödems ist bisher nicht vollständig geklärt. Es wird jedoch angenommen, dass eine Kombination aus genetischen und hormonellen Faktoren eine Rolle spielt. In vielen Fällen findet sich eine familiäre Häufung, was auf eine genetisch bedingte Veranlagung hinweist. Die hormonelle Komponente scheint ebenfalls signifikant zu sein, da das Lipödem hauptsächlich in Zeiten hormoneller Umstellungen auftritt.
Genetische Faktoren
Ungefähr 60 % der Betroffenen berichten, dass die Erkrankung in ihrer Familie vorkommt. Das bedeutet, dass die Veranlagung dafür möglicherweise vererbt wird. Vermutlich werden die verantwortlichen Gene auf eine Weise weitergegeben, die als „autosomal-dominant“ bezeichnet wird. Das bedeutet, dass nicht jeder, der das betreffende Gen in sich trägt, auch tatsächlich erkrankt.
Neue wissenschaftliche Studien zeigen, dass genetische Veränderungen, die den Fettstoffwechsel und die Vermehrung von Fettzellen beeinflussen, eine Rolle bei der Entstehung der Erkrankung spielen könnten. Zu diesen Genen gehören solche, die den Abbau und die Speicherung von Fett im Körper steuern und die Entwicklung von Fettzellen beeinflussen.
Hormonelle Einflüsse
Die hormonellen Einflüsse beim Lipödem sind gut dokumentiert. Hormonelle Veränderungen während der Pubertät, Schwangerschaft oder Menopause können Auslöser für die Krankheit sein. Studien zeigen, dass die Fettzellen von Lipödempatientinnen eine erhöhte Produktion von Aromatase aufweisen, einem Enzym, das Androgene in Östrogene umwandelt. Dies könnte zu einer verstärkten Fettzellenproliferation und einer Hemmung der Bildung von braunem Fettgewebe führen.
Darüber hinaus wurde eine erhöhte Aktivität von Hormonen wie dem Insulin-ähnlichen Wachstumsfaktor (IGF-1) und dem Leptin bei Betroffenen beobachtet. Diese Hormone fördern die Fettzellenproliferation und hemmen gleichzeitig den Abbau von Fettzellen, was zum Fortschreiten der Erkrankung beiträgt.
Charakteristika und Symptome des Lipödems
Das Lipödem zeichnet sich durch eine ungleichmäßige Fettverteilung an den Beinen und Armen aus, wobei Hände und Füße ausgespart bleiben. Diese Fettvermehrung ist symmetrisch, das heißt, beide Seiten des Körpers sind gleichmäßig betroffen. Typische Symptome sind Schwellungen, Spannungsgefühle und eine Neigung zu blauen Flecken (Hämatome), selbst bei kleineren Stößen. Die Haut der betroffenen Bereiche fühlt sich oft kühl an, was auf eine verminderte Durchblutung hinweisen kann.
Es gibt verschiedene Stadien des Lipödems: Zu Beginn ist die Hautoberfläche noch glatt, später kann sie wellig und uneben erscheinen, ähnlich wie bei einer Orangenhaut. In fortgeschrittenen Stadien können größere Fettpolster und schmerzempfindliche Knoten entstehen, die die Beweglichkeit beeinträchtigen und das Erscheinungsbild stark verändern. Ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal zum Übergewicht (Adipositas) ist, dass eine Gewichtsabnahme durch Diäten und Sport keine oder nur geringe Besserung der Symptome bewirkt.
Einteilung des Lipödems nach Lokalisation
Beine | Arme |
---|---|
Oberschenkeltyp | Oberarmtyp |
Ganzbeintyp | Ganzarmtyp |
Unterschenkeltyp | Unterarmtyp |
Einteilung des Lipödems nach Morphologie
Stadium | Charakteristika |
---|---|
1 | Glatte Hautoberfläche mit gleichmäßig verdicktem Unterhautfettgewebe (Subkutis) |
2 | Unebene, überwiegend wellenartige Hautoberfläche; knotenartige Strukturen im verdickten Unterhautfettgewebe |
3 | Ausgeprägte Umfangsvermehrung mit überhängenden Gewebeanteilen (Wammenbildung) |
Woher kommen die Schmerzen beim Lipödem?
Der Schmerz ist das Hauptsymptom des Lipödems und unterscheidet diese Erkrankung von anderen Fettverteilungsstörungen. Betroffene empfinden oft ein tiefes Druckgefühl, das sich wie schwere Beine anfühlt, aber auch stechende oder brennende Schmerzen sind möglich. Diese Schmerzen können bei Berührung, Druck oder sogar ohne äußerliche Einwirkung auftreten und sind oft abends intensiver als morgens.
Die genaue Ursache der Schmerzen ist noch nicht vollständig geklärt, aber verschiedene Faktoren scheinen eine Rolle zu spielen. Zum einen können die veränderten Fettzellen und das gestörte Bindegewebe auf die feinen Nervenenden drücken, was zu Schmerzen führt. Zum anderen wird eine erhöhte Empfindlichkeit der Nerven vermutet, möglicherweise aufgrund einer hormonellen Dysbalance, die bei vielen Betroffenen vorliegt. Auch eine erhöhte Fragilität der Blutgefäße, die zu Mikroverletzungen und kleinen Blutungen führt, kann den Schmerz verstärken. Schließlich spielt auch eine überaktive Nervenreaktion eine Rolle, bei der die Schmerzempfindlichkeit über das normale Maß hinaus gesteigert ist. Die Schmerzen können die Lebensqualität erheblich beeinträchtigen.
Diagnostik des Lipödems
Die Diagnose des Lipödems basiert in erster Linie auf klinischen Beobachtungen und der Anamnese. Die Diagnosestellung erfolgt meist durch:
- Klinische Untersuchung: Überprüfung der typischen Verteilung der Fettansammlungen an den Extremitäten, Schmerzempfindlichkeit und Neigung zu Hämatomen.
- Ausschlussdiagnostik: Abgrenzung gegenüber ähnlichen Krankheitsbildern wie Lymphödem oder Adipositas.
- Bildgebende Verfahren: In bestimmten Fällen können Ultraschall oder MRT zur Unterstützung der Diagnose eingesetzt werden. Diese Methoden sind jedoch in der Routine nicht erforderlich.
Eine exakte und frühzeitige Diagnose ist entscheidend, um eine angemessene Therapie einzuleiten und die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern. Eine fehlerhafte oder verspätete Diagnose kann dazu führen, dass Betroffene unnötig lange leiden und sich die Symptome verschlimmern.
Ausschlussdiagnosen
Die wichtigsten Ausschlussdiagnosen des Lipödems sind:
- Adipositas: Bei Adipositas handelt es sich um eine allgemeine Fettvermehrung, die nicht mit Schmerz einhergeht. Die Fettverteilung ist dabei in der Regel gleichmäßig über den Körper verteilt.
- Lymphödem: Ein Lymphödem ist durch eine einseitige oder asymmetrische Schwellung gekennzeichnet und kann als Komplikation eines Lipödems auftreten.
- Venenerkrankungen: Krampfadern und andere venöse Insuffizienzen können ebenfalls zu Schwellungen und Schmerzen führen, sind jedoch durch spezifische klinische Merkmale abzugrenzen.
Eine differenzierte Diagnostik ist wichtig, um das Lipödem korrekt zu identifizieren und von anderen Erkrankungen abzugrenzen, die ähnliche Symptome zeigen, jedoch unterschiedliche Behandlungsansätze erfordern.
Behandlungsmöglichkeiten beim Lipödem
Eine kausale Therapie für das Lipödem existiert derzeit nicht. Die Behandlung zielt daher darauf ab, Symptome zu lindern, die Lebensqualität zu verbessern und Komplikationen zu vermeiden.
Konservative Therapien
Die konservativen Therapieansätze umfassen:
- Manuelle Lymphdrainage (MLD): Eine spezielle Massagetechnik zur Reduktion von Ödemen.
- Kompressionstherapie: Verwendung von Kompressionsstrümpfen (z. B. Flachstrickstrümpfe), um den Lymphabfluss zu unterstützen und Schwellungen zu reduzieren.
- Physiotherapie: Regelmäßige Bewegung zur Förderung des Lymphflusses und zur Verbesserung der körperlichen Funktion.
- Ernährung: Angepasste Ernährungsstrategien, wie eine kohlenhydratarme Diät, können zur Gewichtskontrolle beitragen und Entzündungen reduzieren.
- Psycho-soziale Unterstützung: Beratung und Unterstützung durch Selbsthilfegruppen oder Psychotherapie, um mit den psychischen Belastungen der Erkrankung besser umzugehen.

Operative Therapien
Für viele Patientinnen, insbesondere in fortgeschrittenen Stadien, kann die Liposuktion eine effektive Therapieoption sein. Hierbei wird das überschüssige Fettgewebe unter Tumeszenzanästhesie, einer speziellen Form der Lokalanästhesie, abgesaugt. Studien zeigen, dass die Liposuktion zu einer signifikanten Reduktion der Schmerzen und einer Verbesserung der Lebensqualität führen kann.
- Liposuktion: Besonders bei Lipödem Stadium III werden die Kosten von der GKV unter bestimmten Voraussetzungen anerkannt und finanziert. Diese Maßnahme hat das Ziel, die Fettansammlungen dauerhaft zu reduzieren und somit die Symptomatik zu lindern.
- Wasserstrahl-assistierte Liposuktion (WAL): Ein schonendes Verfahren, bei dem Fettgewebe durch einen gezielten Wasserstrahl entfernt wird. Diese Methode schont das umliegende Gewebe und reduziert das Risiko von Komplikationen.
Die operative Behandlung wird oft als letzte Option in Betracht gezogen, wenn konservative Maßnahmen nicht den gewünschten Erfolg bringen. Studien haben gezeigt, dass die Liposuktion in der Lage ist, das Fortschreiten der Erkrankung zu verlangsamen und die Lebensqualität der Betroffenen erheblich zu verbessern.
Wann übernehmen die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten für eine Liposuktion bei Lipödem?
In Deutschland kann die Kostenübernahme für eine Liposuktion bei Lipödem durch die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) unter bestimmten Voraussetzungen erfolgen. Aktuell wird die Liposuktion beim Lipödem im Stadium III als Kassenleistung anerkannt, jedoch nur unter strengen Bedingungen und befristet bis zum 31. Dezember 2024.
Die Bedingungen für die Kostenübernahme sind:
- Nachweis eines Lipödems im Stadium III: Die Diagnose muss gesichert sein.
- Konservative Therapie: Vor dem chirurgischen Eingriff muss eine mindestens sechsmonatige konservative Behandlung (z. B. Lymphdrainage, Kompressionstherapie und Bewegungstherapie) erfolgt sein, die keine ausreichende Linderung der Beschwerden bewirkt hat.
- Body-Mass-Index (BMI): Der BMI sollte unter 35 liegen. Bei einem BMI von 35 oder höher ist zusätzlich eine Adipositas-Therapie notwendig. Bei einem BMI ab 40 wird eine Liposuktion nicht empfohlen, und eine Adipositas-Behandlung steht im Vordergrund.
Wenn alle diese Bedingungen erfüllt sind, kann die Kostenübernahme bei der Krankenkasse beantragt werden.
BMI-Rechner

Aktuell ist noch unklar, wie es nach dem 31. Dezember 2024 mit der Kostenübernahme für die Liposuktion bei Lipödem durch die gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland weitergehen wird. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat eine Erprobungsstudie namens "LIPLEG – Liposuktion bei Lipödem in den Stadien I, II oder III" in Auftrag gegeben, deren Ergebnisse im Dezember 2024 erwartet werden. Diese Studie untersucht die Wirksamkeit und Sicherheit der Liposuktion im Vergleich zu einer nichtoperativen Standardbehandlung wie Lymphdrainage, Kompression und Bewegungstherapie.
Basierend auf den Ergebnissen dieser Studie wird der G-BA im Jahr 2025 beraten, ob die Liposuktion künftig eine reguläre Leistung der gesetzlichen Krankenkassen wird und, falls ja, bei welchen Stadien des Lipödems dies der Fall sein könnte. Die aktuelle Regelung, wonach die Liposuktion beim Lipödem im Stadium III unter bestimmten Bedingungen eine Kassenleistung ist, soll jedoch nicht auslaufen, bevor eine endgültige Entscheidung getroffen wurde.
Bis dahin bleibt die bestehende Ausnahmeregelung in Kraft. Es bleibt abzuwarten, wie der G-BA die Evidenz der Studie bewertet und welche zukünftigen Entscheidungen getroffen werden.
Update 27.12.2024: In schweren Fällen des Lipödems werden auch in 2025 die Kosten für die Fettabsaugung von den Krankenkassen übernommen. Der Gemeinsame Bundesausschuss hat die bis Ende Dezember befristete Regelung, wonach die Liposuktion beim Lipödem Stadium III eine Kassenleistung ist, um ein Jahr verlängert.
Ergänzende Maßnahmen
Neben konservativen und operativen Maßnahmen gibt es weitere Strategien, die helfen können, die Symptome des Lipödems zu lindern und die allgemeine Gesundheit zu fördern:
- Sport und Bewegung: Leichte Aktivitäten wie Schwimmen oder Radfahren können helfen, die Symptome zu lindern und die allgemeine Gesundheit zu fördern. Es wird empfohlen, regelmäßige Bewegung in den Alltag zu integrieren, um die Mobilität zu erhalten und die Schmerzen zu reduzieren.
- Ernährungsoptimierung: Eine ausgewogene Ernährung kann helfen, das Gewicht zu kontrollieren und entzündliche Prozesse zu reduzieren. Insbesondere entzündungshemmende Nahrungsmittel wie Omega-3-Fettsäuren, Polyphenole und Vitamin C sollten in die Ernährung integriert werden.
Prävention und Selbstmanagement bei Lipödem
Obwohl das Lipödem nicht geheilt werden kann, gibt es verschiedene Maßnahmen, die Betroffene ergreifen können, um das Fortschreiten der Erkrankung zu verlangsamen und die Symptome zu lindern. Dazu gehören:
- Frühzeitige Diagnose: Eine frühzeitige Diagnose ermöglicht eine rechtzeitige Einleitung der Therapie, was das Fortschreiten der Erkrankung verlangsamen kann.
- Gewichtskontrolle: Obwohl das Lipödem nicht durch Diäten geheilt werden kann, hilft eine gesunde Ernährung dabei, Übergewicht zu vermeiden, das die Symptome verschlimmern kann.
- Regelmäßige Bewegung: Tägliche Aktivitäten wie Spaziergänge, Schwimmen oder sanftes Yoga können helfen, die Durchblutung zu fördern und die Schmerzen zu lindern.
- Kompressionstherapie: Das konsequente Tragen von Kompressionsstrümpfen kann helfen, Schwellungen zu kontrollieren und das Wohlbefinden zu steigern.
Fazit
Quellen
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