H1 Diabetes Typ 2, Adipositas
Diabetes mellitus, insbesondere der Typ 2, stellt mit zunehmender Häufigkeit eine zunehmende Herausforderung für das öffentliche Gesundheitssystem dar. In Deutschland lag die Anzahl der Betroffenen im Jahr 2023 bei schätzungsweise 8,9 Millionen Menschen. Zusätzlich wird von einer Dunkelziffer von mindestens 2 Millionen nicht diagnostizierter Fälle ausgegangen. Um die steigende Krankheitslast zu bewältigen sind effektive Präventions- und Behandlungsstrategien, die auch das Problem Übergewicht betreffen.
Diabetes Typ 2: Adipositas als Risikofaktor
Unter dem Begriff Diabetes mellitus werden verschiedene Stoffwechselstörungen zusammengefasst, deren gemeinsames Merkmal eine chronische Erhöhung des Blutzuckerspiegels ist. Beim Typ-2-Diabetes ist entweder die Insulinbildung gestört oder die Insulinwirkung vermindert, meist treten jedoch beide Faktoren gemeinsam auf. Adipositas, also starkes Übergewicht, gilt als wesentlicher Risikofaktor für die Entwicklung von Typ-2-Diabetes. In den OECD-Ländern hat der Anteil der Erwachsenen mit Adipositas zwischen 2010 und 2016 um 50 Millionen zugenommen. Dieser Anstieg trägt zu etwa 70 % der Diabetes-bezogenen Behandlungskosten bei und stellt eine erhebliche Belastung für die Gesundheitssysteme dar.
Die Rolle der Adipositas bei Diabetes mellitus Typ 2
Der Zusammenhang zwischen Übergewicht und Diabetes ist gut dokumentiert. Adipositas führt zu einer Insulinresistenz, die in Kombination mit einem relativen Insulinmangel zur Entstehung von Diabetes Typ 2 beiträgt. Insulinresistenz ist ein Zustand, bei dem die Körperzellen weniger empfindlich auf Insulin reagieren. Dadurch bleibt der Blutzuckerspiegel erhöht, was langfristig zu Gesundheitsproblemen wie Typ-2-Diabetes führen kann.
Gewichtsklassifikation bei Erwachsenen anhand des BMI mit Risikoeinschätzung für Begleiterkrankungen des Übergewichts
Gewichtskategorie | BMI | Risiko für Begleiterkrankungen |
---|---|---|
Untergewicht | < 18,5 | Niedrig |
Normalgewicht | 18,5 – 24,9 | Durchschnittlich |
Übergewicht | ≥ 25 | |
Präadipositas | 25 – 29,9 | Gering erhöht |
Adipositas Grad I | 30 – 34,9 | Erhöht |
Adipositas Grad II | 35 – 39,9 | Hoch |
Adipositas Grad III | ≥ 40 | Sehr hoch |
In Deutschland verursachte Adipositas bereits im Jahr 2016 direkte Kosten von über 29 Milliarden Euro im Gesundheitssystem. Eine effektive Therapie gegen Adipositas ist daher entscheidend, um das Risiko der Diabetesentwicklung zu reduzieren und die Krankheitslast zu mindern. Studien zeigen zudem, dass Menschen mit Adipositas ein höheres Risiko für weitere Begleiterkrankungen haben, was die Bedeutung einer frühzeitigen Intervention unterstreicht.
BMI-Rechner
Gewichtsreduktion als Schlüssel zur Therapie von Diabetes mellitus Typ 2
Die Gewichtsreduktion ist ein zentrales Element in der Behandlung von Typ-2-Diabetes. Studien zeigen, dass eine Lebensstilintervention, die zu einer Gewichtsreduktion führt, die Umwandlung von Prädiabetes in manifesten Diabetes um 58 % senken kann. Prädiabetes ist ein Gesundheitszustand, bei dem der Blutzuckerspiegel höher als normal, aber noch nicht hoch genug für eine Diabetesdiagnose ist. Es ist ein Warnsignal, dass das Risiko für die Entwicklung von Typ-2-Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen erhöht ist. Durch Änderungen im Lebensstil, wie gesunde Ernährung und regelmäßige Bewegung, kann das Fortschreiten zu Diabetes oft verhindert werden.
Bereits eine Gewichtsabnahme von 10 Kilogramm kann die Gesamtmortalität bei Menschen mit Typ-2-Diabetes um 25 % reduzieren. Die Gesamtmortalität bezeichnet die Anzahl der Todesfälle durch eine bestimmte Erkrankung, hier der Diabetes mellitus, innerhalb eines bestimmten Zeitraums.
Darüber hinaus können Patient*innen durch eine stabile Gewichtsreduktion sogar eine Remission des Diabetes erreichen, d.h. erhöhte Blutzuckerwerte sind nicht mehr vorhanden. Neben der Verbesserung der Blutzuckerwerte kann eine Gewichtsabnahme auch andere Begleiterkrankungen des Diabetes, wie Bluthochdruck, Fettlebererkrankungen und Depressionen, positiv beeinflussen. Diese Erkenntnisse verdeutlichen, wie wichtig eine gezielte Gewichtsreduktion für das Management von Diabetes mellitus Typ 2 ist.
Therapieziele bei Diabetes mellitus Typ 2 und Adipositas
Bei Menschen mit Typ-2-Diabetes und Adipositas sollte eine langfristige Stabilisierung des Gewichts angestrebt werden. Ein gesunder Taillenumfang von ≤ 80 cm bei Frauen und ≤ 94 cm bei Männern wird als erstrebenswert angesehen. Liegt der Taillenumfang bei ≥ 88 cm (Frauen) bzw. ≥ 102 cm (Männer) und der BMI bei ≥25 kg/m², sollte eine Gewichtsreduktion von mindestens 5 % des Ausgangsgewichts innerhalb von 6 bis 12 Monaten angestrebt werden. Eine langsamere, aber nachhaltige Gewichtsreduktion ist vorzuziehen, um Rückfälle zu vermeiden und das Beibehalten der Diät langfristig zu sichern. Ein langsames Vorgehen bei der Gewichtsabnahme ermöglicht es den Patient*innen, ihre neuen Lebensgewohnheiten besser in den Alltag zu integrieren und dauerhaft beizubehalten.
Allgemeine Therapieziele zur langfristigen Gewichtsstabilisierung bei Adipositas und Diabetes mellitus Typ 2
Indikator | Allgemeines Therapieziel |
---|---|
BMI | 18,5 – 24,9 kg/m² |
Taillenumfang für Frauen | ≤ 80 cm |
Taillenumfang für Männer | ≤ 94 cm |
Multimodale Therapieansätze: Ernährung und Bewegung
Ernährungstherapie bei Diabetes mellitus Typ 2
Eine erfolgreiche Behandlung von Diabetes mellitus Typ 2 erfordert einen Ansatz, der sowohl Ernährungs- als auch Bewegungstherapie umfasst. Die Ernährungstherapie orientiert sich häufig an den „10 Regeln der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE)“, die eine gesundheitsfördernde Ernährung ohne starre Verbote empfiehlt. Eine tägliche Kalorienreduktion von etwa 500 kcal, vorzugsweise durch die Reduktion von Kohlenhydraten oder Fetten, wird als zielführend angesehen. Eine individuelle Anpassung der Makronährstoffverteilung ist dabei entscheidend, um die Blutzuckerziele zu erreichen und die Freude am Essen zu erhalten. Empfehlenswert ist beispielsweise die Mittelmeerdiät.

Die 10 Regeln der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE)
- Lebensmittelvielfalt genießen: Eine abwechslungsreiche Ernährung sichert eine ausreichende Versorgung mit allen wichtigen Nährstoffen.
- Gemüse und Obst – nimm „5 am Tag“: Empfohlen wird der Verzehr von mindestens fünf Portionen Obst und Gemüse pro Tag.
- Vollkorn wählen: Vollkornprodukte sind reich an Ballaststoffen und fördern die Verdauung.
- Mit tierischen Lebensmitteln die Auswahl ergänzen: Fleisch, Fisch, Eier und Milchprodukte sollten in Maßen konsumiert werden.
- Gesundheitsfördernde Fette nutzen: Pflanzliche Öle und Fette, wie z.B. Olivenöl, sollten bevorzugt werden.
- Zucker und Salz einsparen: Ein übermäßiger Konsum von Zucker und Salz sollte vermieden werden.
- Am besten Wasser trinken: Wasser ist der ideale Durstlöscher; gezuckerte Getränke sollten vermieden werden.
- Schonend zubereiten: Garen, Dämpfen oder Dünsten erhält die Nährstoffe in den Lebensmitteln.
- Achtsam essen und genießen: Bewusstes Essen hilft dabei, die Nahrung besser zu verdauen und das Sättigungsgefühl wahrzunehmen.
- Auf das Gewicht achten und in Bewegung bleiben: Eine gesunde Ernährung sollte durch regelmäßige körperliche Aktivität ergänzt werden.
Zusätzlich zur Ernährungsumstellung können individuelle Maßnahmen wie Ernährungsprotokolle, selbstüberwachende Kohlenhydrataufnahme und Schulungen (z.B. Einkaufstraining und Kochkurse) hilfreich sein, um die langfristige Adhärenz zur Therapie sicherzustellen.
Bewegungstherapie bei Diabetes mellitus Typ 2
Die Bewegungstherapie ist eine wesentliche Säule im Management von Diabetes mellitus, insbesondere des Typ-2-Diabetes. Regelmäßige körperliche Aktivität trägt erheblich zur Gewichtsreduktion und Gewichtsstabilisierung bei und reduziert gleichzeitig das kardiovaskuläre Risiko, das häufig bei Diabetespatienten erhöht ist.
Empfohlene Bewegungseinheiten
Laut den Empfehlungen für körperliche Aktivität sollten Erwachsene mindestens 150 Minuten pro Woche moderat bis intensiv trainieren oder alternativ mindestens 75 Minuten pro Woche intensives oder Intervalltraining durchführen. Dies kann durch eine Kombination von mäßiger und intensiver aerober Aktivität, bei der Energie unter Verwendung von Sauerstoff erzeugt wird, ergänzt werden, z. B. durch Laufen, Radfahren, Schwimmen und Gehen. Insbesondere aerobe Aktivitäten, selbst in kürzeren Einheiten, haben signifikante Vorteile für die Regulierung des Blutzuckerspiegels und die allgemeine Gesundheit.

Zusätzlich zur aeroben Aktivität wird empfohlen, an mindestens zwei Tagen pro Woche muskelstärkende Übungen durchzuführen, um die Knochenstabilität zu fördern und die Muskelmasse zu erhalten. Für ältere Menschen sind Übungen zur Verbesserung des Gleichgewichts besonders wichtig, um das Sturzrisiko zu minimieren.
Vorteile der Bewegungstherapie
Die Kombination aus Ausdauer- und Krafttraining hat sich als besonders wirksam erwiesen, um die Langzeitblutzuckerwerte (HbA1c) zu verbessern. Es ist dokumentiert, dass eine regelmäßige Bewegungstherapie in Kombination mit medikamentöser Behandlung die HbA1c-Werte um 0,8 bis 0,9 % senken kann. Diese Effekte tragen entscheidend zur Verringerung der langfristigen Komplikationen des Diabetes bei.
Praktische Umsetzung
Bewegungstherapie sollte nicht nur auf sportliche Aktivitäten beschränkt sein, sondern auch die Erhöhung der Alltagsaktivität einschließen, wie beispielsweise Treppensteigen, Spazierengehen oder Gartenarbeit. Eine kontinuierliche Überwachung der körperlichen Leistungsfähigkeit, beispielsweise durch Messung der Herzfrequenz, kann hilfreich sein, um das Trainingsprogramm individuell anzupassen und optimale Ergebnisse zu erzielen. Dazu sollte man zu Beginn am besten seinen Hausarzt mit ins Boot nehmen.
Tipps zur Durchführung
Ausdauertraining: Empfohlen wird ein moderates Ausdauertraining bei etwa 50-60 % der maximalen Herzfrequenz. Aktivitäten wie Walking, langsames Joggen, Radfahren und Schwimmen sind besonders geeignet.
Krafttraining: Es sollte Ganzkörper-Krafttraining durchgeführt werden, das auf die großen Muskelgruppen abzielt. Die Intensität sollte je nach Fortschritt angepasst werden, beginnend mit leichteren Gewichten und einer höheren Anzahl von Wiederholungen.
Alternative Trainingsformen: Ergänzende Trainingsmethoden wie Elektromyostimulationstraining (EMS-Training) oder interaktives Training mit Computerkonsolen (Exergaming) können ebenfalls positive Effekte auf die Blutzuckerkontrolle haben. Es ist wichtig, dass solche Aktivitäten unter professioneller Anleitung erfolgen, da sie in kommerziellen Settings für Diabetespatienten nicht immer empfohlen werden.
Diese umfassenden Empfehlungen zur Bewegungstherapie zielen darauf ab, Diabetespatienten nicht nur bei der Blutzuckerkontrolle zu unterstützen, sondern auch ihre allgemeine Lebensqualität zu verbessern und das Risiko für sekundäre Erkrankungen zu senken.
Medikamentöse Therapieoptionen bei Diabetes mellitus Typ 2
Neben der Lebensstilmodifikation kann eine medikamentöse Therapie erforderlich sein, insbesondere wenn die Senkung der erhöhten Blutzuckerwerte und Gewichtsreduktion im Fokus stehen. Zu den bevorzugten Medikamenten gehören Metformin (erhöht die Empfindlichkeit der Körperzellen gegenüber Insulin), GLP-1-Rezeptor-Agonisten (Senkung des Blutzuckerspiegels) und SGLT-2-Inhibitoren (Förderung der Insulinproduktion). Diese Medikamente können neben der Blutzuckersenkung auch zu einer Gewichtsabnahme beitragen. Eine Kombinationstherapie mit mehreren Medikamenten kann in Erwägung gezogen werden, wenn die Ziele nicht durch eine Monotherapie erreicht werden. Die Wahl des richtigen Medikaments sollte individuell abgestimmt werden, um die bestmöglichen Ergebnisse zu erzielen und die Lebensqualität der Patient*innen zu erhalten.
Fazit
Quellen
Baumert J, Heidemann C, Reitzle L, Schmidt C. Healthy life years among people with and without diabetes in Germany. J Health Monit. 2021 Jun 16;6(2):43-50.
Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) und diabetes DE – Deutsche Diabetes-Hilfe. Deutscher
Gesundheitsbericht Diabetes 2024 – Die Bestandsaufnahme. Erschienen am 14.11.2023. ISSN
1614-824X.
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Aberle J et al. Praxisempfehlungen der Deutschen Diabetes Gesellschaft. Adipositas und Diabetes.
Aktualisierte Version 2023. Diabetol Stoffwechs 2023;18(Suppl 2):S305–S313.
Esefeld K et al. Praxisempfehlungen der Deutschen Diabetes Gesellschaft. Diabetes, Sport und Bewegung. Aktualisierte Version 2023. Diabetol Stoffwechs 2023;18(Suppl 2):S314-S323.
Akademie für Sport und Gesundheit Dr. Bergmann GmbH. Karvonen Formel: Bestimmung der
Zielherzfrequenz. Abgerufen 08/2024